„Bei der Kreisgebietsreform vor 50 Jahren habe ich mich dafür eingesetzt, dass Thierhaupten zum Landkreis Augsburg hinzugeschlossen wird. Wir haben davor ja zu Neuburg a.d.D. gehört, aber das war verkehrstechnisch immer sehr umständlich, denn wir waren quasi im hintersten Winkel, die öffentlichen Verkehrsmittel sind nur selten nach Neuburg gefahren und der Weg war lange. Behördengänge waren da zum Beispiel zeitlich sehr schwer zu meistern. Die meisten Bürger haben außerdem eher im Süden gearbeitet, in Augsburg, Meitingen oder woanders. Der Trend ging also Richtung Augsburg. Über die Thierhauptener SPD haben wir damals einen Antrag auf Bürgerversammlung gestellt, die dann von der Gemeinde bewilligt wurde. Da gab es starke Diskussionen, aber als Ergebnis hat sich dann bestätigt, dass es der allgemeine Wunsch ist, zum Landkreis Augsburg zu gehören. Bei der anschließenden Abstimmung haben fast 100 Prozent dafür gestimmt, nur fünf oder sechs waren dagegen. Danach konnte die Gemeinde den Antrag an die Behörden stellen. Eigentlich komme ich ja gar nicht gebürtig aus Thierhaupten, sondern aus dem Osten, aus dem Sudetenland. Trotzdem ist Thierhaupten meine Heimat geworden und es sind auch die meisten der Heimatvertriebenen wie ich hier geblieben und haben sich ansässig gemacht. Ursprünglich hatte ich eigentlich Gärtner gelernt. Nach der Lehrzeit bin ich im Jahr 1944 mit 17 Jahren aber doch noch in den Wehrdienst eingezogen worden und musste dann Soldat sein. Ich wurde direkt an der russischen Front eingesetzt. Ab Mai 1945 habe ich dann rund ein Jahr lang Gefangenschaft in Russland erlebt bis ich frei gelassen wurde. In Russland haben wir damals keinerlei Mitteilungen bekommen, was eigentlich mit der Bevölkerung passiert ist und so bin ich dann nach meiner Entlassung erstmal in meine alte Heimat gefahren. Ich habe ja nicht gewusst, dass die Leute nicht mehr da waren. Und ich habe dann gerade noch – am 1. November 1946 war das – den letzten Aussiedlungstransport aus dem Sudetenland nach Deutschland bekommen. Danach habe ich zunächst einmal meine Mutter und meine Geschwister im Westen suchen müssen, denn ich wusste ja nicht, wo die hin sind. In Frankfurt am Main habe ich mich so ans Rote Kreuz gewendet und die konnten mir helfen. Innerhalb von vierzehn Tagen hatte ich eine Adresse: Meine acht Geschwister und meine Mutter waren in Thierhaupten gelandet und sind hier beim damaligen „Gutshof Gruner“, welchen wir heute als Kloster kennen, in einen Raum eingewiesen worden. Und meine Großeltern mütterlicherseits waren auch noch mit dabei. Später haben die Großeltern dann aber einen kleinen Raum für sich erhalten. 1946 hat die Gemeinde rund 400 Neubürger durch die Heimatvertriebenen dazu bekommen. Die Verhältnisse waren schon sehr schwierig. Die wussten ja auch nicht, wo sie die Leute alle unterbringen sollten. Wo mein Vater war, ob er noch lebt, gefangen wurde oder im Krieg gefallen ist, wussten wir zunächst nicht. 1948 haben wir schließlich die Todesmitteilung erhalten. Bis dahin habe ich in der Gärtnerei des Gutshofes gearbeitet. Aber dann musste ich mich aus finanziellen Gründen nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen. Ich war ja der Älteste, deswegen musste ich die Mutter und die gesamte Familie unterstützen – obwohl ich damals erst 19 Jahre alt war – da habe ich dann einige Jahre in einer Fabrik in Meitingen gearbeitet. Jedenfalls bin ich so nach Thierhaupten gekommen und hier wirklich sesshaft geworden. Ich war ja auch früher in vielen Vereinen aktiv, beim Obst- und Gartenbauverein, beim Ortsverein SPD, Sportverein, im Gemeinderat und, und, und. Meine Frau war gebürtige Thierhauptenerin und wir haben vier Töchter, die leben auch alle hier im Ort. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Menschen 1972 in Thierhaupten gewohnt haben. Um 1949 waren es um die 1.400 oder 1.600. Aber Thierhaupten hat ja wirklich eine sehr gute Entwicklung gemacht und das ist vielleicht auch auf diese Kreisgebietsreform zurückzuführen. Wir hatten viele Zuzüge und es wurde viel gebaut. Heute sind wir, meine ich, immerhin um die 4.000 Bürgerinnen und Bürger hier.“

– Otto Oehler, Zeitzeuge aus Thierhaupten

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